Gas

Grüner Wasserstoff: Herstellungskosten in Deutschland sind immer noch zu hoch

Die Industrie hat hohen Bedarf an grünem Wasserstoff, zeigt eine neue Studie. Doch dieser ist nicht konkurrenzfähig. Ein Ausweg ist die Stärkung der lokalen Wasserstoffproduktion.
19.10.2023

Insbesondere die Stahlindustrie benötigt grünen Wasserstoff in großen Mengen, um die Produktion zu dekarbonisieren.

Zukünftig wird der deutsche Bedarf an grünem Wasserstoff in der Indus­trie durch die Transformation zu klimaschonenden Technologien auf mindestens 211 TWh pro Jahr steigen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie des Norddeutschen Reallabors, die die Rolle von Wasserstoff zur Dekarbonisierung von sieben energieintensiven Industriezweigen untersucht. In fünf davon ist Wasserstoff nach derzeitigem Stand unabdingbar. Offene Fragen gibt es im Hinblick auf die Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich zu fossilen Energieträgern: Hohe Mehrkosten für den Einsatz von grünem Wasserstoff machen nach Überzeugung der Forscher wirtschaftspolitische Anreizmechanismen erforderlich, damit Deutschland und insbesondere der Norden seine Rolle als Vorreiter in der Sektorenkopplung halten kann. 

Die Studie untersucht die Möglichkeiten für den industriellen Einsatz von grünem Wasserstoff. „Eine schnelle Dekarbonisierung des Industriesektors ist zur Erreichung unserer Klimaziele unumgänglich. Grünem Wasserstoff kommt gerade in der Industrie eine Schlüsselrolle zu, denn anders als im Verkehrs- und Gebäudesektor ist direkte Nutzung von grünem Strom in wesentlichen industriellen Kernprozessen nicht möglich“, führt Jens-Eric von Düsterlho, Dekan der Fakultät Wirtschaft und Soziales an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, in einer Pressemitteilung aus. Von Düsterlho ist Leiter der Arbeitsgruppe des Norddeutschen Reallabors (NRL), die hinter der Veröffentlichung steht. Das NRL ist ein vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördertes Verbundprojekt, in dem eine länderübergreifende Allianz mit 50 Partnern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik neue Wege zur Klimaneutralität aufzeigt. 

Wasserstoff oft alternativlos

Von sieben in der Studie betrachteten energieintensiven industriellen Gütern ist grüner Wasserstoff für die Dekarbonisierung in fünf Fällen alternativlos. Dagegen spielt Wasserstoff in der Aluminiumproduktion keine tragende Rolle, zur Dekarbonisierung sollen zukünftig stattdessen inerte Anoden zur direkten Elektrifizierung eingesetzt werden. Für die Zementproduktion gibt es zurzeit ebenfalls keine bekannte Strategie, mit grünem Wasserstoff die Emissionen zu verhindern.

„Um die heutigen Produktionsmengen in Deutschland bei Defossilisierung weiterhin erzeugen zu können, läge der industrielle Wasserstoffbedarf bei mindestens 211 TWh“, erläutert Studienautor Lucas Jürgens vom Competence Center für Erneuerbare Energien und EnergieEffizienz (CC4E) der HAW Hamburg.

Nicht konkurrenzfähig im Vergleich zu Fossilen

Die Studie untersucht insbesondere die Wirtschaftlichkeit des Einsatzes von grünem Wasserstoff in Konkurrenz zu fossilen Energieträgern. Bis zur Erreichung einer Kostenparität ist es der Studie zufolge noch ein langer Weg. Legt man die geschätzten aktuellen Herstellungskosten für grünen Wasserstoff in Deutschland von 5,99 Euro/kg (Hydex, grenzkostenbasiert exkl. Transport & Kapitalkosten) bzw. 7,99 Euro/kg (Hydrix, marktbasiert inkl. Transport) zugrunde, wird deutlich, dass es bislang noch keine wettbewerbsfähigen Produktionskosten bei mit erneuerbarem Strom hergestelltem Wasserstoff gibt.

Die Studie zeigt aber auch, dass es mehrere Stellschrauben gibt, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Es ist zum Beispiel davon auszugehen, dass durch technischen Fortschritt und Skaleneffekte Wasserstoff günstiger wird und gleichzeitig durch höhere Preise für CO2-Emissionen bzw. -Zertifikate bei höheren Preisen Kostenparität eintritt.

Lokale Produktion stärken

Das in der Studie aufgezeigte Preisdelta zwischen lokal erzeugtem Wasserstoff und fossilen Energieträgern zeigt deutlich, dass hier Handlungsbedarf besteht. Auf dem Weg zu einer kohlenstoffneutralen Wirtschaft stellt sich für viele Unternehmen inzwischen die Frage, in welchem Land die besten Produktionsbedingungen für erneuerbare Energien liegen. Längst gibt es Überlegungen, ob sich nicht grünes Ammoniak und grünes Methanol in anderen Ländern günstiger produzieren und als Wasserstoff-Derivat nach Deutschland importieren lassen. Eine allein auf Schiffsimporte von grünem Ammoniak und grünem Methanol aus Drittländern basierende Strategie würde aber insbesondere die chemische Industrie in Deutschland unter Konkurrenzdruck bringen, die diese Produkte bisher in großem Maßstab herstellt. „Auch wenn sich Deutschland auf lange Sicht nicht komplett selbst versorgen können wird, ist es wichtig, den Aufbau von lokalen Elektrolysekapazitäten und Wasserstoffinfrastruktur konsequent umzusetzen, um schnell zu defossilisieren. Norddeutschland bietet mit viel Windstrom hervorragende Bedingungen, um sich mit wasserstoffbasierten Verfahren als Vorreiter der Sektorenkopplung zu etablieren. Insbesondere industriepolitisch ist es geboten, Know-how und Technikkompetenz in Deutschland zu halten. Nur eine lokale und kostengünstige Wasserstoffproduktion wird eine derartige Entwicklung nachhaltig sichern können“, appelliert Mike Blicker, Projektkoordinator des Norddeutschen Reallabors. (amo)